Geschlecht und Exzellenz

Steht das Ziel der Erhöhung des Frauenanteils in Konflikt mit der Gewährleistung wissenschaftlicher Exzellenz? Sollte nicht vielmehr das Geschlecht irrellevant sein und stattdessen die Leistung beurteilt werden?

Ein faires Bewerbungsverfahren bietet eine Vielzahl an Stellschrauben, um Chancengleichheit herzustellen. An ebendiesen Stellschrauben setzt das Allgemeine Gleichstellungskonzept an, das sich die Förderung aufstrebender Wissenschaftlerinnen als ein zentrales Ziel gesetzt hat (vgl. AGK 2018, S.24 ff.). Dennoch gilt nach dem Frauenfördergesetz Sachsen-Anhalts eine Bevorzugung von Frauen bei gleichwertiger "Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" (Frauenfördergesetz Sachsen-Anhalt § 4 Abs. 2). Allerdings wird dort einschränkend angemerkt:

"Dies gilt nicht, wenn in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe vorliegen, die auch unter Beachtung der Verpflichtung zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern überwiegen."

 

Definition wissenschaftlicher Exzellenz

Doch wer entscheidet über die Eignung einer Person und wie wird diese definiert? Und wirken sich diese Entscheidungsfaktoren zum Nachteil von Frauen aus? Hierfür gibt es eine Vielzahl an Faktoren, die bei der Etablierung eines chancengerechten Verfahrens beachtet werden sollten. Ausschlaggebende Kriterien sind häufig:

Die Anzahl an Publikationen Bei der Anzahl an Publikationen wird oftmals die, überwiegend von Frauen übernommene, unbezahlte Sorgearbeit nicht mit einbezogen, ebenso wie Auszeiten in der Schwangerschaft oder während der Elternzeit. (vgl. Findeisen 2012, S.287).
Die Bereitschaft zu Mobilität

Eine geringere Mobilitätsbereitschaft resultiert oftmals aus einer räumlichen Gebundenheit im Privatleben. Diese entsteht beispielsweise durch die Sorgearbeit älterer Familienangehöriger oder eigener Kinder (vgl. Becker u.A. 2011, S.6).

Das (zeitliche) Engagement Eltern, insbesondere Frauen, müssen ihre Zeit planen können, weil sie neben ihrer Erwerbsarbeit noch andere Bälle jonglieren (vgl. Becker u.A 2011, S.6). Arbeitszeitmodelle sollten daher flexibel an die Mitarbeitenden angepasst sein und nicht umgekehrt. Permanente Verfügbarkeit ist nicht mit wissenschaftlichem Engagement und Interesse gleichzusetzen. Eine Befristung der Arbeitsverträge sowie unterschiedliche Arbeitszeiten erschweren zudem die Familienplanung.
Das informelle Netzwerk Karrierefördernd wirkt sich zudem ein breites informelles Netzwerk aus (vgl. ebd., S.293). Dies erhöht beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, an Forschungsprojekten teilzunehmen, eine Karriere durch srategisches Wissen besser planen zu können, zu Vorträgen eingeladen zu werden oder zusätzliche Aufgabenbereiche zu erhalten. Außerdem können dadurch bürokratische Hürden leichter umgangen werden. Diese fehlende Vernetzung vermindert die beruflichen Aufsstiegschancen vieler Wissenschaftlerinnen (vgl. Paulitz 2020, S.34).
Die Fachkultur und die Sichtbarkeit

Innerhalb der Disziplinen kann eine Fachkultur den Anteil von Frauen maßgeblich beeinflussen (vgl. Findeisen, S.285-286). So können insbesondere in männlich dominierten Disziplinen Rollenstereotype reproduziert und mit dem eigenen Fach verknüpft werden, was zu einer geringeren Selbstidentifikation von Frauen mit ihrem Bereich führt (vgl. Brötzmann; Pöllmann-Heller 2020, S.13). Beispielsweise kann durch ein Gefühl geringerer Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten innerhalb des Fachs angesichts vorherschender Stereotype die Wahrnehmung von qualifizierten Wissenschaftler*innen verzerrt werden, ebenso wie deren Selbstwahrnehmung ihrer eigenen Leistung (vgl. Findeisen 2012, S.291, ff.).

Die Finanzierungs-möglichkeiten

Oftmals kommt es bei Wissenschaftlerinnen zu einer Akkumulation von Nachteilen, aus denen eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten resultieren. So entsteht häufig der Anschein einer geringeren Qualifikation durch eine kürzere Publikationsliste. Dies kann sich etwa bei der Beantragung von Stipendien als hinderlich erweisen (vgl. ebd., S. 292-293).

 

Quellen:

  • Becker, R.; Hilf, E.; Meschkutat, B; Tippel, C. (2011): Allzeit mobil? Bedeutung räumlicher Mobilität und zeitlicher Flexibilität für die Karriere von Frauen. In: Becker, R.; Cornelißen, W.; Rusconi, A.: Frauen an die Spitze – was ist zu tun?. Berlin; Dortmund; München: BMBF; ESF, S.4-11.
  • Brötzmann, N.; Pöllmann-Heller, K. (2020): Programme zur Unterstützung von Frauen in MINT-Fächern an Fachhochschulen – neue Ansätze durch intersektionale und fachkulturelle Perspektiven. Erste Ergebnisse aus dem Teilvorhaben A "Internationale und fachkulturelle Perspektiven". Förderkennzeichen: 01FP1714. Regensburg; München: BMBF-Verbundvorhaben "MINT-Strategien 4.0 – Strategien zur Gewinnung von Frauen für MINT-Studiengänge an Hochschulen für angewandte Wissenschaften".
  • Findeisen, I. (2011): Hürdenlauf zur Exzellenz. Karrierestufen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • AGK - Allgemeines Gleichstellungskonzept (2018).
  • Paulitz, T.; Braukmann, S. (2020): Professorinnen im Spannungsverhältnis von Exzellenz und Chancengleichheit: Empirische Befunde aus einer qualitativen Interview-Studie. In: IHF: Beiträge zur Hochschulforschung. Thema: Wissenschaftliche Exzellenz und Chancengleichheit, S.30-49.

Letzte Änderung: 15.12.2022 - Ansprechpartner: Webmaster